Nina Käsehage blickt hinter die Kulissen der vielschichtigen salafistischen Szene
von Marius Klingemann
Die Göttinger Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage befasst sich bereits seit längerer Zeit mit dem Islam und seinen unterschiedlichen Facetten. In diesem Jahr ist bereits ihr Buch „Konversion zum Islam innerhalb Deutschlands“ erschienen, welches sich damit beschäftigt, aus welchen Gründen sich Menschen entscheiden, Muslim oder Muslima zu werden.
Im Rahmen ihrer Dissertation, die sie am Lehrstuhl von Prof. Andreas Grünschloß zum Thema „Die salafistische Szene in Deutschland und ihre europäischen Vernetzungen“ schreibt, hat Frau Käsehage mehr als 100 Interviews in ganz Deutschland sowie rund 70 weitere in acht anderen europäischen Staaten, darunter Frankreich, Österreich und die Türkei, mit salafistischen AkteurInnen geführt. Sie möchte dazu beitragen, hinter die Fassade dieser erst seit Kürzerem verstärkt in den Fokus gerückten Strömung zu blicken.
Nachdem sie bereits in mehreren Artikeln, etwa im Göttinger Tageblatt oder der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, zu Wort gekommen ist, stand Frau Käsehage auch der Augusta für ein paar Fragen
zur Verfügung.
Guten Tag, Frau Käsehage. Aus welchem Grund ist gerade der Salafismus in den Fokus Ihrer Forschung gelangt?
Ich habe bereits im Rahmen meiner Masterarbeit, welche ich vor einigen Jahren an der Ruhr-Universität Bochum zur Konversion zum Islam und deren Hintergründe verfasst habe, Kontakte zu zahlreichen jungen Konvertiten aufgebaut. Dieses Thema stellte zu diesem Zeitpunkt aber eher noch eine Randerscheinung in der gesellschaftlichen Debatte dar.
Im Fortlauf meiner universitären Karriere habe ich mich weiterhin verstärkt mit der salafistischen Szene in Deutschland befasst. Über die bereits vorhandenen Kontakte konnte ich zum Teil weitere Gesprächspartner aus dem gesamten Bundesgebiet gewinnen - seien es Prediger in salafistischen Zentren oder auch einfache Anhänger dieser Glaubensströmung.
Worin liegt hierbei ihr spezielles Interesse?
Durch meine Kindheit im Ruhrgebiet, wo schon seit längerer Zeit viele Muslime heimisch sind, hatte ich bereits früh Kontakt zum Islam und dessen verschiedene Traditionen und Ausprägungen.
Ich möchte daher herausfinden, was derart viele junge Menschen auch hierzulande dazu verleitet, sich mit der radikalen Auslegung des Islam zu befassen und dessen Verlockungen letztlich nicht selten zu erliegen.
Was steckt für Sie hinter dem „Phänomen Salafismus“?
Der Salafismus stellt eine sehr extreme Auslegungsweise des Islam dar. Die Adepten bekommen eine Art Richtlinie ausgehändigt, wo quasi von A-Z durchdekliniert ist, wie sie sich als „gute Muslime“ zu verhalten haben. Offenbar hilft dies gerade derzeit vielen Menschen, einen gewissen Halt zu bekommen.
Wie funktioniert das salafistische Netzwerk hier in Deutschland?
Zunächst einmal stellen die Koranstände, welche man häufiger in den Städten sieht, einen wichtigen Anlaufpunkt dar: Hier bekommen Interessierte einen Koran ausgehändigt und werden dadurch eingeladen, sich (tiefer) mit dem Islam zu befassen. Häufig werden auch Flyer verteilt, welche von „Der wahren Religion“ sprechen. Dahinter stecken sowohl politisch als auch dschihadistisch ausgeprägte Salafisten; gerade junge Menschen sollen dadurch geködert werden, dass diese Strömung als der Islam dargestellt wird. Nach außen hin stellen sich die Organisatoren als Missionare dar, aber die tatsächlichen Hintergründe sind natürlich weitaus vielschichtiger.
Zur gesellschaftlichen Komponente: Auf Ihrer Website ist das Zitat „Eine weise Gesellschaft sollte meiner Ansicht nach daran bemessen werden, wie sie mit ihren Kritikern umgeht“ zu lesen. Was steht für Sie dahinter?
Der Koran lässt vielerlei unterschiedliche Auslegungen zu, so dass hier – wie in vielen anderen Religionen ebenso - auch Richtungen zu finden sind, die Kritik an einer demokratischen Gesellschaften äußern. Viele derer, die sich dem Salafismus zugewandt haben, sind mit den Verhältnissen in Deutschland unzufrieden und bringen dies entsprechend zum Ausdruck. Diese Kritik grundsätzlich äußern zu können, ist durch unser Grundgesetz möglich, solange sie auf friedlichem Wege verbal artikuliert wird. Seine Kritiker nicht zu verhaften oder zu zensieren ist u.a. eine Haltung, die eine Demokratie von einer Diktatur unterscheidet. Man akzeptiert andere Meinungen, obwohl sie nicht dem Lebensmodell entsprechen, das man selber favorisiert.
In diesem Zusammenhang ist mir wichtig, dass man mit Menschen, die die Demokratie möglicherweise ablehnen, trotzdem im Gespräch bleibt, weil sich ohne Kommunikation die Fronten nur noch weiter verhärten würden. Nur im gemeinsamen Diskurs kann wirklich ein Fortschritt und damit auch Verbesserung bewirkt werden. Die kulturelle Offenheit und die Auseinandersetzung damit darf in einer Demokratie auf keinen Fall abhanden kommen.
Im Rahmen Ihrer Doktorarbeit haben Sie zahlreiche Interviews geführt. Bitte beschreiben Sie uns einmal, wie man sich solch ein Treffen vorzustellen hat. Wie schwer ist es, Zugang zu bekommen?
Zunächst einmal ist jedes Treffen anders, was die Arbeit aber umso spannender macht. Kontakt habe ich zum Beispiel in Moscheen bekommen und habe mich mit den Interviewpartnern dann an einem Ort deren Wahl, teilweise auch bei ihnen zu Hause, getroffen. Wir sind dann gemeinsam einen von mir erstellten Fragekatalog durchgegangen, den es mit der jeweiligen biographischen Situation des Interviewten ins Verhältnis zu setzen galt.
Generell kann ich sagen, dass der Zugang zum Feld mittlerweile schwieriger geworden ist, da einfach mehr Misstrauen herrscht. Ich hatte wohl das Glück, einen recht guten Leumund zu besitzen, so dass es mir möglich war, viele Kontakte zu unterschiedlichen Gesprächspartnern zu knüpfen.
Mussten Sie dabei auch extreme bzw. gefährliche Situationen durchleben?
Ja, das ist so. Einmal war ich etwa in einer Moschee zum Gespräch verabredet, wurde dort dann aber erstmal eine Zeit lang gewaltsam festgehalten, bevor es schließlich doch noch zum Interview kam. Teilweise fährt man auch in verschiedenen Autos zu unterschiedlichen Orten, bis etwas Konkretes passiert. Das sind dann schon Situationen, in denen man sich fragt: „Komme ich wieder nach Hause?“
Ich bekomme seit einiger Zeit auch Drohungen per E-Mail, manchmal stehen Leute bei uns vor der Haustür. Ans Aufgeben denke ich jedoch nicht, auch wenn gewisse Dinge einen natürlich mitnehmen. Ich bin davon überzeugt, anderen Menschen mit meiner Grundlagenforschung weiterhelfen zu können, also mache ich weiter.
Wo Sie gerade Ihre Forschung ansprechen: Welchen Mehrwert - sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftlich - erhoffen Sie sich?
Ich möchte einen möglichst kompletten Eindruck der Entwicklung der salafistischen Szene hier in Deutschland, auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, vermitteln. Ich hoffe darauf, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit gegen die Radikalisierung junger Menschen errichten zu können, an der Vertreter verschiedener Felder, darunter natürlich Religionswissenschaftler mit einem Islamschwerpunkt, aber eben auch Juristen, Politikwissenschaftler und andere, beteiligt sind. Nur gemeinsam wird es möglich sein, diese bedenklichen Tendenzen, welche für diejenigen, die sich ihnen verschreiben, häufig einen Weg ohne Wiederkehr darstellen, anzugehen.
Weiterhin möchte ich erreichen, dass ein differenziertes Bild des Salafismus‘ entsteht. Ebenso wenig wie den Salafismus gibt es eben auch den Salafisten. Die Szene ist äußerst heterogen, bei der salafistischen Gruppenwahl spielen verschiedenste Einflüsse eine Rolle. Puristische Salafisten, die sich auf die reine Lehre berufen und einen friedlichen Diskurs anstreben, haben zum Beispiel stark darunter zu leiden, dass die dschihadistischen Salafisten Gewalt anwenden und ein radikales „Märtyrertum“ propagieren, um ihre Ziele zu erreichen bzw. auf sich aufmerksam zu machen. Der gesamte Islam wird hier von einer verschwindend kleinen Minderheit (ca. 0,1%) in Verruf gebracht.
Als wie groß sehen Sie die Gefahr des ‚Islamismus‘, sowohl global als auch hier in Deutschland, aktuell an?
Ich befürchte, dass die Bedrohung in Zukunft noch zunehmen wird. Auch wir in Deutschland könnten bald zum Ziel werden, wie man jüngst in Düsseldorf gesehen hat. Die geographische, aber insbesondere auch politische Nähe zu stark betroffenen Ländern wie Frankreich oder Belgien spielen hierbei meiner Meinung nach eine wichtige Rolle.
Ich bin jedoch guter Dinge, dass wir dieser Art des Terrors, sofern wir gemeinsame, übergreifende Allianzen dagegen bilden, etwas entgegensetzen können.
Wie sehr unterstützt Sie Ihr Doktorvater, Herr Professor Grünschloß, bei Ihrer Arbeit?
Professor Grünschloß ist ein wichtiger, fachlich äußerst kompetenter Mentor und Ansprechpartner. Er ist immer für mich da, wenn es etwas zu besprechen gibt, und stellt somit einen wichtigen Link zwischen der wissenschaftlichen und persönlichen Ebene dar. Es ist wichtig, Menschen wie ihn an meiner Seite zu wissen, die mich auf diesem langen und teils eben auch nicht ungefährlichen Weg mit Rat und Tat begleiten.
Hat Sie das mediale Interesse, welches Ihre Arbeit hervorruft, überrascht?
Ein solches Interesse ist nicht natürlich nicht vorhersehbar. Ich begrüße es jedoch, dass dadurch die Möglichkeit entsteht, einen spezifischen Sachverhalt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zudem ist es grds. wünschenswert, die Meinung der Forscher abzubilden, die die aktuellste Expertise zum Thema besitzen.
In meinem Fall erhoffe ich mir insbesondere, dass der praktische Nutzen, welcher aus meiner Forschung gezogen werden kann, noch verstärkt wird. Ich wünsche mir etwa, dass die Arbeit im Bereich des radikalen Islam stärker in den laufenden universitären Kontext eingebunden wird. Bisher war es beispielsweise nicht möglich, einen Kontakt mit dem geplanten Dokumentationszentrum der Uni Göttingen herzustellen. Das ist insofern bedauerlich, als dass durch das Dokumentationszentrum die Möglichkeit gegeben wäre, mein Fachwissen an die vielen Interessierten weiterzugeben und meine Forschungsergebnisse zu dokumentieren. Auch könnte der Forschungsstandort Göttingen durch die gestiegene Beachtung meines Forschungsfeldes weiter ausgebaut werden. Noch vor kurzem hieß es dazu in den Medien, dass man im Kontext der Errichtung dieses Dokumentationszentrums besonders am aktuellsten Forschungsstand interessiert sei. Insofern würde sich eine Kooperation mit mir hier anbieten und wäre von vielerlei Nutzen für alle Beteiligten.
Am 7. Juli werden Sie im Rahmen des Interreligiösen Forums einen Vortrag am Göttinger Campus halten. Was können Sie uns dazu erzählen?
Das Interreligiöse Forum als solches versucht, Interessierten die Vielschichtigkeit der Religionen auf der Welt zugänglich zu machen. Dazu sind Vertreter der jeweiligen Richtungen vor Ort, mit denen diskutiert werden kann.
Mein Vortrag wird sich damit befassen, die bereits angesprochene Heterogenität der salafistischen Szene darzustellen und darüber hinaus Möglichkeiten aufzuzeigen, Extremismen, die es übrigens auch unter Studierenden gibt, wirksam abzuschwächen.
Frau Käsehage, wir bedanken uns für dieses Interview.
Wer mehr über Nina Käsehage und ihre Forschung erfahren möchte, kann sich auf ihrer Website, salafismus-forschung.de, informieren.