Wir haben mit dem Verband der Studierenden aus Kurdistan
zur Repression Erdogans gesprochen
von Alexander M. Fürniß
Bei YXK (Yekitiya Xewndekaren Kurdistan) handelt es sich um den „Verband der Studierenden aus Kurdistan“, einer Initiative, die sich für eine „demokratische, geschlechterbefreite und ökologische Gesellschaft“ einsetzt und aus der kurdischen Freiheitsbewegung hervorgeht. Der Verband wurde 1991 von kurdischen Studierenden in Bochum gegründet. Inzwischen ist YXK in ca. 20 Städten vertreten und neben Deutschland vor allem in den Ländern Österreich, Belgien, Frankreich und England aktiv. Laut einer Studie Ende der 90er Jahre, sprach man von ca. 800.000 Kurden in Deutschland. Im Zuge des Irak-Kriegs 2003 und des immernoch anhaltenden Bürgerkriegs in Syrien, geht YXK heute von mindestens einer Million Kurden aus, die in Deutschland leben.
Organisation und Motivation
Dass der Name das Wort „Kurdistan“ enthält, wurde, wie ein YXK-Mitglied Göttingens uns erklärte, ganz bewusst so entschieden, da „die Kurden damals verleugnet wurden“ und es sie im öffentlichen Diskurs nicht gab. Abseits YXK gibt es viele jesidisch, alevitische Religions- und Glaubensgemeinschaften, die alle politisch für das Thema sensibilisiert sind. Aber auch Parteien, wie die HDP in Berlin, oder das Kurdische Gesellschaftszentrum (nav-dem), stellen bundesweite Organisationen dar. „NAV-DEM“ ist ein Dachverband und vereint ca. 80 verschiedene Mitgliederorganisationen, zu denen auch YXK und dessen Jugend gehört. Ein Göttinger Sprecher sagte uns, YXK sei es wichtig, dass jeder, egal ob Frau oder Jugend, sich „autonom organisieren und seine individuellen Probleme artikulieren“ können soll, „denn nur jede gesellschaftliche Gruppe, kann ihre eigenen spezifischen Probleme kollektiv lösen“. Aus diesem Grund hatte sich diesen Februar „JXK“, der Verband der Studierenden Frauen aus Kurdistan, gegründet. YXK ist es wichtig, Geschlechterverhältnisse in den Vordergrund zu stellen, selbstbewusst die patriarchalischen Strukturen zu durchbrechen, um so gesellschaftliche Unterdrückung zu überwinden. Die Hauptaufgaben von YXK Göttingen liegen bei der Planung und Ausführung verschiedener Infor-mationsveranstaltungen zur politischen Lage in Kurdistan bzw. der Türkei, „um unseren Interessen Öffentlichkeit zu verschaffen“, so ein Göttinger YXKSprecher. Der Fokus liegt dabei auf der europäischen Außenpolitik. Über die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Cizre, bei denen Menschen verbrannt wurden, müsse laut YXK präziser und transparenter berichtet werden. Ziel ist es dabei, die deutsche Politik unter Druck zu setzen. Bildungsarbeit wird in Form von Lesekreisen oder Wochenendseminaren an der Universität angeboten. Auch sozialkulturelle Arbeit, im Rahmen von Konzerten, gehören zu YXKs Aufgaben. Direkter Kontakt zu den Menschen ist YXK dabei wichtig, um auf Missstände, beispielsweise eines angezündeten Ladens einer kurdischen Familie in Northeim oder Lobbyarbeit der Erdogan-Administration in der Groner Moschee, aufmerksam zu machen und somit zu vermeiden, dass so etwas „nicht unter den Teppich gekehrt wird“. Wie YXK klar macht, ist das kein kurdisches Problem, sondern eines gegenüber allen Minderheiten. Die jüngsten Vorkommnisse in Dessau hätten, nach Aussagen von Göttinger YXK-Aktivisten, erneut gezeigt, dass Migranten und Migrantinnen auf ihre Missstände selbst aufmerksam machen müssen. Aber auch ‚wir‘ Nicht- Migranten/-innen sollten das so wahrnehmen. Letztendlich strebt der Verband an, mithilfe seiner Veranstaltungen und Veröffentlichungen, einen gewissen Geist zu schaffen, der Unterdrückung, Fremdbestimmung und -herrschaft, auch über das Projekt Rojava hinaus, unmöglich macht. YXK erarbeitet dafür Analysen der aktuellen politischen Lage, der (gesellschaftlichen) Probleme und der Situation in Göttingen. Außerdem analysiert YXK auch welchen Einfluss einzelne faschistische Gruppen aus der Türkei ausüben oder wie sie aktuell agieren, um diese im Rahmen ihrer Veranstaltungen den Besuchenden zu erzählen/erklären oder per Social Media publik zu machen.
Das Projekt „Rojava“
Aufmerksamkeit erlangte Rojava, als der IS versuchte das Gebiet Kobane einzunehmen. Hierbei geriet der Fokus der Weltöffentlichkeit auf die Selbstverteidigungskräfte, also einem militärischen Aspekt, doch YXK will daran erinnern, dass hinter Rojava noch viel mehr steckt: „So z.B. das Streben nach einer ökologischen Gesellschaft, ein neues Ökonomiemodell zu verwirklichen, eine andere Art von Rechtsprechung und auch besonders die Geschlechterbefreiung in den Mittelpunkt zu stellen“. Am Wichtigsten sei dabei der demokratische Aufbau, der über Kommunen, Dörfer, Stadträte usw. organisiert ist und sich immer mehr nach oben hin aufbaut. Die Entscheidungsgewalt liegt vollständig auf Seiten der Bevölkerung. Direkte Demokratie ohne Staat und Hierarchien, dafür selbstverwaltend und basisdemokratisch (Demokratischer Konföderalismus).
Erdogans Ziele und Methoden
Zieht man die Analysen heran, versucht Erdogan derzeit ein Präsidialsystem zu errichten, wofür er eine 2/3-Mehrheit benötigt, um die Verfassung des türkischen Staates ändern zu können. Der Bürgerkrieg in Syrien, aber auch der Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung, nahm ab Juli letzten Jahres deutlich an Intensität zu, bis es schließlich zu Neuwahlen kam, bei der Erdogans AKP die absolute Mehrheit (knapp 50%) erlangte. Mit dem nun ausgeführten Immunitätsentzug wird ein weiterer Schritt in Richtung autoritäres Präsidialsystem gemacht, mit dem gleichbedeutend ca. sechs Millionen Wählerstimmen für nichtig erklärt wurden. Denkbar sind nun Reibungen durch die Armenien-Resolution, ein zu scheitern drohender EUTürkei- Pakt und eben der weitere (Schatten-)Krieg gegen die (kurdische) Zivilbevölkerung, der die Bevölkerung wiederholt immer weiter spaltet und Erdogans Macht im Hinblick auf Neuwahlen (zur ‚nötigen‘ Mehrheit) akkumuliert. Ebenfalls möglich sei es, die bereits „undemokratische 10%-Hürde“ noch weiter zu erhöhen, um „Parteien aus dem Parlament zu verdrängen“. Außerdem vermutet YXK, dass es letztlich zu einem HDP-Verbot kommen könnte, so wie die (kurdischen) Vorläufer-Parteien auch schon verboten wurden. Der Krieg erschafft eine Atmosphäre der Angst, unter der Erdogan die Bevölkerung nötigt, zur nationalen Einheit zu halten und die ‚vermeintliche Terroristen‘ (die Kurden) zu bekämpfen. Ganz klare Machtinstrumente mit denen Angst in der Gesellschaft und eine Stimmung der Aussichtslosigkeit geschaffen werden. Entweder für Erdogan sein oder gegen ihn und das Etikett „Terrorist“ verpasst bekommen, egal ob Journalist*innen, Akademiker*innen oder Schüler*innen. Was Erdogan und die AKP macht, das ist „ganz klar faschistisch“, so YXK.
Für weitere Infos, wendet euch direkt an YXK Göttingen unter: goettingen@yxkonline.de.