Literaturnobelpreis für Bob Dylan

https://www.flickr.com/photos/53477761@N08
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von Michael Freckmann

 

Seit vielen Jahren stand Bob Dylan auf der Blacklist für den Literaturnobelpreis. In diesem Jahr aber hat er ihn tatsächlich bekommen. Er, der „Shapeshifter“: „I’ve got my Dylan mask on“ rief der Künstler einmal seinem Publikum entgegen. Wandlungen vom man of constant sorrow, zum Rockstar, dann in eine religiöse Phase, später zum Chronisten verschiedener musikalisch-literarischer Traditionen. Der Sozialromantiker, der Außenseiter, der Satiriker und der Endzeitsänger. Viele Veränderungen und Brüche sind in seinem Werk zu finden, dazu die Weigerung, sich festzulegen: „He not busy being born, is busy dying“, sang er bereits 1965.

 

Diese Grundspannungen bestehen nach Heinrich Detering zwischen „illiterater Popular- und avantgadistischer Bildungsliteratur, archaischer Einfachheit und avangardistischer Komplexität, Autorenschaft und Anonymität, zwischen konservativer Rückwendung und der Suche nach permanenter Innovation“. In einem Interview verriet Dylan auf die Frage, wer der Sprecher dieser vielen verschiedenen Stimmen in seinen Songs sei, an den Interviewer gerichtet: „He’s right where you are. If you don’t have those thoughts and feelings, then he doesn’t exist”.

 

Die Anfänge hingegen liegen im Nordern der USA, wo er in Hibbing, Minnesota, aufgewachsen ist. Mit Anfang 20 kam er nach New York. Als Folksänger, nach seinem großen Vorbild Woody Guthrie, spielte er in Bars und schlief in der U-Bahn. Später traf er mit Songs wie „The times they are a-changing“ und „When the ship comes in” auf offene Ohren der “Protestgeneration”. Bereits 1963 sprengte er eine Preisverleihung für ihn von verdienten Altlinken mit der Bemerkung, die Welt solle nicht von alten Leuten verändert werden. Ab dem folgenden Album „Another Side of Bob Dylan“ und den drei Rockalben danach aber ließ er zunehmend Surreales mit einfließen und vollzog eine Abkehr von dem, was vorher als politischer Protest verstanden wurde, hin zu einer individualistischen Innerlichkeit. Hier sind gleichzeitig auch mit „Love minus zero/No Limit“ und „She belongs to me“ große Liebessongs zu finden.

 

Musikalisch folgte der „ghost of electriciy“, mit der E-Gitarre und der empörten Abwendung der Folk-Fangemeinde. Auf Konzerten mit „Judas-Rufen“ begleitet, musste er gegen seine eigenen Konzertbesucher anspielen. Mit Sonnenbrille, langgezogenem Gesang, das heute prägende frühe Bild Dylans, stand er auf der Bühne und sang dem Publikum „How does it feel, to be without a home“ aus „Like a rolling stone“ entgegen. Als um 1968 die Studentenproteste losbrachen, hatte sich Dylan hiervon längst abgewandt und sich in die Wälder zurückgezogen. Ein Jahr später veröffentlichte er plötzlich Countrymusik. Erst Mitte der 70er Jahre, mit Blood on the tracks, und der Rolling Thunder Revue, einem spontan an verschiedenen Orten auftauchenden fahrenden Tourzirkus, kam er, auch kommerziell erfolgreich, auf die Bühne zurück.

 

Gegenwärtig im Alter lernt man ihn noch einmal neu kennen. Insbesondere seit dem Album “Love and Theft”, mit Songcollagen, angelehnt oder direkt übernommen von anderen Dichtern bis hin in die Antike und der amerikanischen populären Kultur der vergangenen Jahrhunderte - so tauchen neben Ovid, Shakespeare, Twain oder Fitsgerald auf -  lässt er diese Traditionen durch sich selbst in Form dieser Zitate sprechen.

 

Während er im Studio seine Produzenten nervte, oft weitere Aufnahmen eines Songs verweigerte, Alben probte, um sie dann ganz anders aufzunehmen -  die letzten Alben produzierte er dann als Jack Frost selbst – betonte er, dass seine Songs erst auf der Bühne entstehen. Die 1988 als „Never ending tour“ gestartete Auftrittsserie, dauert noch immer mit gegenwärtig fast 100 Konzerten pro Jahr weltweit weiter an.

 

Er spielt einfach drauf los; selbst bei einem Konzert vor Barack Obama probte er nicht. Wer auf Konzerten erwartet (und das tun leider viele), die alten Lieder zu hören, und zwar so, wie man sie von den Aufnahmen kennt, wird einmal mehr enttäuscht – ja muss es sogar sein. Wenn er sie spielt, dann werden sie neu interpretiert, gelegentlich finden sich neue Zeilen oder gar Strophen. Zu der sehr markanten Stimme bemerkte er, dass Stimmen nicht “schön” sein müssten, sondern „they matter only if they convince you that they are telling the truth.”

 

Dylan ist der erste Künstler, der nicht vornehmlich Schriftsteller ist, der den Literaturnobelpreis verliehen bekommt. Er selbst bezeichnet sich nicht als Musiker oder Poet, sondern als „song and dance man“ – gerade weil Lyrik, Musik und Performance bei ihm zusammengehören. Dem Journalisten Robert Sheldon verriert er in einem Interview: "It's not me. It's the songs. I'm just the postman. I deliver the songs. That's all I have in this world are those songs! That's what all the legend, all the myth, is about - my songs."

 

 

Buchtipp: Heinricht Detering: Bob Dylan, Reclam: Stuttgart, 2016

 

Dieser Text erschien in leicht veränderter Form in der Mai-Ausgabe der AUGUSTA zum 75. Geburtstag des Künstlers