Aufstand der Töchter

Beschäftigte der UMG Gastronomie GmbH wehren sich gegen über 30 Prozent Einkommensungleichheit

Arbeiter*innen der Gastro und Ünterstützer*innen der Aktion (Foto: Klaus Peter Wittemann)
Arbeiter*innen der Gastro und Ünterstützer*innen der Aktion (Foto: Klaus Peter Wittemann)

von Bastian Tölke

 

 

Göttingen. Die Konsequenzen der rigorosen Kommerzialisierung des Gesundheitssektors sind auch am Uniklinikum in Göttingen nicht spurlos vorbei gegangen. Im Gegenteil: Die Umwandlung des größten Arbeitgebers der Region Südniedersachsen in eine Stiftung öffentlichen Rechts sollte Wirtschaftlichkeit und Effizienz erhöhen. Zu diesem Zweck wurden u.a. sukzessive verschiedene Geschäftsbereiche in Tochtergesellschaften ausgelagert – so auch die Essensversorgung in die UMG Gastronomie GmbH: Von den knapp 300 Beschäftigten in der Gastronomie sind ca. 200 bei der GmbH angestellt und nur noch weitere 80 „gestellt“, also mit einem alten Arbeitsvertrag bei der „Mutter“. Die Einkommenslücke zwischen beiden Gruppen beträgt gut 30 Prozent. Einige Beschäftigte der GmbH (mit Kindern) müssen gar tun, was seit dem Mindestlohn eigentlich der Vergangenheit angehören sollte: „Aufstocken“. Das betrift vielleicht nicht alle, was aber wohl jedem Angestellten droht ist die Altersarmut. Von der massiven Arbeitsverdichtung mal ganz zu schweigen.

 

Bei den Beschäftigten der UMG Tochter hat sich daher erheblicher Unmut aufgestaut, welcher wohl auch zu der nun erfolgten gewerkschaftlichen Organisierung führte. Und diese gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten handeln nun einen Haustarifvertag aus, der Bezahlung, Sonderzahlungen und Urlaubsansprüche auf das Niveau der „Alt-Beschäftigten“ heben soll.

 

Peter Schierschke, Gastronomie-Geschäftsführer, tat laut Göttinger Tageblatt die unsägliche Einkommensungerechtigkeit mit dem Verweis auf die ausgehandelten Tarifbedingungen der Dehoga (Arbeitgeberverband der Gastronomie) ab. Für den Beweis, dass faire Löhne aber sehr wohl möglich sind, genügt ein Blick an die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) oder in die Küchen des Göttinger Studentenwerkes: In beiden Häusern erfolgt die Entlohnung nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder (TVL).

 

Die Vehemenz der Forderung nach fairen Arbeitsbedingungen in der gesamten Universitätsmedizin Göttingen (UMG) wurde zudem am 25.10. überdeutlich, als dem Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe beim Jahresempfang der UMG ein nachdrücklicher Empfang von Beschäftigten und Sympathisant*innen bereitet wurde. Banner, Transparente und Plakate säumten das Foyer und zeugten von der Entschlossenheit, mit der die Anwesenden ihre Forderungen nach mehr Personal, einer klaren Personalbemessung und fairen Löhnen in deutschen Krankenhäusern unterstrichen.

 

Weitere Infos auf Facebook unter „UMG ver.di Aktive“ und unter „Aufstand der Töchter“.

 

Zu dieser Thematik führten wir ein Interview mit dem zuständigen ver.di Fachsekretär Patrick von Brandt.

 

Augusta: Herr Von Brandt, wann begann die „Ausgliederung“ von Bereichen der UMG in Tochtergesellschaften und um welche Bereiche handelt es sich dabei?

Die Ausgliederung begann vor gut zehn Jahren und umfasst alle sogenannten „patientenfernen Bereiche“. Das ist dem Verständnis der UMG-Führung nach wohl die Reinigung, die Essensversorgung aber z.B. auch Blut- und Bettenfahrer.

 

Augusta: Mit welcher Absicht setzte die Geschäftsführung auf eine „Ausgliederung“ und was für Konsequenzen ergaben sich daraus für die Beschäftigten?

Das Ziel scheint vor allem die drastische Absenkung der Gehälter in diesen Bereichen gewesen zu sein. Die UMG selber bekam während der Umwandlung zur Stiftung vom Gesetzgeber vorgegeben, ihren Angestellten mindestens die Löhne der Landesbeschäftigten weiter zu zahlen. Also entledigte man sich formal der Verantwortung für diese Bereiche durch Ausgründung. Hier konnte nun gezahlt werden, was der Markt, d.h. die dort herrschenden Kräfteverhältnisse zuließ.

 

Augusta: Sie sind vermutlich sehr nah an der Arbeitswirklichkeit der Beschäftigten dran, wie äußert sich die Arbeitsverdichtung ganz konkret?

Die Arbeitswirklichkeit ist sehr heterogen: Je nachdem ob Sie in der Zentralküche am Band, in der Spüle, oder in der Mensa, Cafeteria, etc. in der Essensverteilung arbeiten. Aber es gibt u.a. äußerst harte, körperliche Arbeit im Schichtdienst. Ich rate allen Interessierten sich mal die Spülküche anzusehen: Dort ist es laut, heiß und feucht – und sie können stundenlang schwere Container schieben, Tag und Nacht, werktags genauso wie am Wochenende.

 

Augusta: Gibt es auch eine Koordination mit anderen „Töchtern“; möglicherweise außerhalb von Göttingen? Wie ist dort die Lage?

Ja natürlich, es gibt einen Austausch auch mit den Beschäftigten z.B. in Berlin aus den Charité-Töchtern oder in München. Es gibt an vielen Orten Bewegung, die unseligen Ausgründungen rückabzuwickeln, bzw. zu verhindern, wie jetzt z.B. erfolgreich an der Uniklinik Augsburg.

 

Augusta: Wie sieht der weitere Zeit- bzw. Fahrplan für die anstehenden Verhandlungen aus?

Wenn es nach uns geht, könnten wir morgen einen Haustarifvertrag unterschreiben, welcher die Löhne und Arbeitsbedingungen des TVLs sichert, d.h. zur Anwendung bringt. Die Vertreter*innen der UMG Gastronomie GmbH sind davon aber noch nicht überzeugt.

 

Augusta: Was gab letztlich den Ausschlag sich jetzt zu organisieren und gegen die Einkommensungleichheit vorzugehen?

Da müssten sie die Kolleg*innen fragen! Das Gefühl ungerecht benachteiligt zu werden, gab es die ganzen Jahre über. Jetzt hat es aber im Frühjahr einen Stimmungsumschwung gegeben, das heißt, dass ganz wesentliche Beschäftigtengruppen entschieden haben, sie hätten kaum etwas zu verlieren und viel zu gewinnen! Dafür haben sie sich organisiert und gemeinsam Handlungsfähigkeit angeeignet.

 

Augusta: Gibt es Überlegungen den „Schwung“ des Bereichs Gastro zu nutzen, sodass auch andere Bereiche sich verstärkt gewerkschaftlich organisieren und in Haustarifvertragsverhandlungen treten könnten?

Ehrlich gesagt stehen wir immer bereit Beschäftigte dabei zu unterstützen, sich zu organisieren und durchsetzungsfähig zu werden. Ob Beschäftigtengruppen dieses Angebot annehmen, können sie nur selber entscheiden.