Auf Zeitreisen mit der VG Wort (Verwertungsgesellschaft Wort)
von Alexander M. Fürniß
Jede*r von uns an der Uni kennt das hilfreiche Online-Tool „Stud. IP“, eine Plattform auf die uns Professor*innen und Dozierende Texte, Vorlesungsfolien und dergleichen hochladen. Damit wird voraussichtlich ab dem 1. Januar 2017 Schluss sein. Die VG Wort, die Verwertungsgesellschaft für sämtliche Textwerke, macht uns einen Strich durch die Rechnung. Diese hat nämlich mit den jeweiligen Landesministerien für Wissenschaft – im Fall Niedersachsen das Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) – einen neuen Rahmenvertrag ausgehandelt, der uns (überspitzt ausgedrückt) zurück in die Steinzeit versetzt. VG...wer? Ganz recht, bis vor drei Wochen hatte auch unsererseits noch niemand von diesem Phänomen etwas gehört. Aber jetzt nochmal Wort für Wort.
Um einen reibungslosen Studienablauf gewährleisten zu können, galt für Universitäten bislang eine Sonderregelung, nach der es den Unis erlaubt war, Texte, z.B. für Seminare, nutzen zu können und diese auch über elektronische Dienste bereitzustellen – unter der Bedingung, dass die Daten auch nur im universitären Kontext benutzt werden. Bislang zahlen die Hochschulen dafür einen Pauschalbetrag, der jedoch ab Neujahr nicht mehr gilt. Der neue Rahmenvertrag sieht nun gemäß § 52a Urheberrechtsgesetz vor, dass jedes hochgeladene Dokument einzeln abgerechnet und pro Seite an die VG Wort (Verwertungsgesellschaft Wort) bezahlt werden soll. Doch wie funktioniert das?
Wird an einem öffentlichen Raum Musik abgespielt, zieht die GEMA Geld von den Veranstalter*innen ein, um einen Teil davon den entsprechenden Künstler*innen zuzuführen. Die VG Wort macht praktisch das Gleiche, sie schüttet das Geld an die Autor*innen aus. Möchten Lehrende Texte für ihr Seminar bereitstellen muss von nun an jedes hochgeladene Dokument einzeln gemeldet werden. Dabei werden verschiedene Daten wie Autor*in, Titel, aber auch bspw. der Kontext des jeweiligen Seminars abgefragt. 6 ½ Minuten würde das laut Untersuchungen der Uni Osnabrück pro Dokument in Anspruch nehmen. Je nach Seminar wüchse der zeitliche Aufwand seitens der Dozierenden somit erheblich – bliebe allerdings unbezahlt.
Nun können aber Verlage unterschiedliche Preise ansetzen. Sie haben eine Art Vorverkaufsrecht und sind so z.B. in der Lage, Unis ein Angebot zu machen, dass sie nicht ablehnen können, da Verlagsangebote Vorrang gegenüber der Regelung der VG Wort haben. Solch ein Angebot könnte so aussehen, dass ein Verlag Lizenzen seiner Texte an Hochschulen gegen ein Entgelt anbietet. Der Preis eines hochgeladenen Dokuments wird sich von 0,8 Cent auf 1-5 Cent pro Seite erhöhen – z.T. also enorm steigen. Doch was bedeutet das für uns Studierende? Die Uni Göttingen, wie übrigens alle niedersächsischen Hochschulen, ist diesem Vertrag nicht beigetreten. D.h. alle Schriftwerke, die unter den § 52a fallen, werden zum Jahresanfang 2017 nicht mehr auf Stud.IP hochgeladen. Das gilt auch für alle bereits hochgeladenen Dokumente – selbst diese werden ab Neujahr gesperrt sein. Die Dozierenden könnten noch nicht einmal zum Wohle ihrer Studierenden die bürokratische Hürde freiwillig in Kauf nehmen, weil die Universitäten eben dem Vertrag nicht beitraten. Mit dieser Entscheidung wird der Konflikt letztendlich auf dem Rücken der Studis ausgetragen und auf den technischen Fortschritt verzichtet. Ein kleiner Lichtblick bleibt. Ein Regelkatalog stellt ganz genau fest, welche Schriftwerke das betrifft – und es sind nicht alle. Texte der bereits angesprochenen Lizenz- Angebote an Unis oder Open-Source können weiterhin hochgeladen werden. Dennoch betrifft das ca. die Hälfte aller hochgeladenen Werke.
Auf Landesebene wird derzeit viel Druck aufgebaut. So sprechen sich die Universitäten und die Studierenden gegen diesen Rahmenvertrag aus. Der AStA Göttingen ist derzeit sehr bemüht, einerseits Druck auszuüben und andererseits die Studis breit zu informieren. Letztendlich lässt sich das Dilemma nur auf Landes- oder Bundesebene lösen. Derzeit kann jedoch nur darüber spekuliert werden, wann das passieren könnte. Für das laufende Semester besteht zumindest die Möglichkeit, vorbeugend bis zum 1. Januar alle PDFs im Stud.IP bereitzustellen. Ob wir uns dann aber schon zum darauf folgenden Sommersemester von den Kopierern verabschieden können, darf bezweifelt werden. Die VG Wort zumindest hat bereits angekündigt ein neues Angebot vorzulegen.