„Alle Häuser bleiben“. Das rote Haus im roten Kreis steht für die Wohnrauminitiative Göttingen, kurz ‚Wohraum-Ini‘, in der sich seit ihrer Gründung 2012 Studierende für soziales Wohnen und den Erhalt studentischen Wohnraums einsetzen. In der Öffentlichkeit sichtbar sind vor allem die Aktionen des Zusammenschlusses und die Sticker. Über den Aufwand, der sich dahinter verbirgt, berichten Fe, Robin D. und Robin M. in einem Interview mit der Augusta im Garten der Goßlerstraße 17/17a.
In der Wohnraum-Ini haben sich die kleineren studentischen Wohnheime im Innenstadtbereich zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen eine vom Studentenwerk Ende letzten Jahres angekündigte Mietpreiserhöhung vorzugehen. Die Mieterhöhungen betreffen jedoch nicht nur die selbstverwalteten "Hausnahmefälle" u.a. der Goßlerstraße 17/17a und der Humboldtallee 9, sondern alle studentischen Wohnheime.
„Mieterhöhungen haben viele Ebenen“, berichtet uns Robin M., der sich seit 2012 unter anderem in dem zweiwöchentlichen Plenum der Wohnraum-Ini engagiert. „Bei den aktuellen Mietverträgen in den studentischen Wohnheimen handelt es sich vornehmlich um Einzelmietverträge.“ Die Rechtfertigungen seitens des Studentenwerks seien widersprüchlich und intransparent. Dabei käme es gerade in Sachen Miete häufig auf die Einzelfälle an, denen jedoch ein Mitspracherecht verwehrt bliebe. „Einzelpersonen werden mit Mieterhöhungen und Räumungsaufforderungen konfrontiert. Da steht schon mal der Anwalt vor Tür.“
Die Wohnraum-Ini möchte auf diese Machtasymmetrie, die besteht, wenn einzelne Mieter*innen sich im Konflikt mit dem Studentenwerk sehen, aufmerksam machen. Der Interessenvertretung der zunehmend unter Druck geratenen Mieter*innen dient ihr Engagement. Ziel sei es, dem Studentenwerk in den Verhandlungen auf Augenhöhe gegenübertreten zu können. Die Aufgaben erweisen sich als vielseitig: „Es geht auch mal um Rauchmelder, nicht immer um politische Kämpfe.“
„Wenn‘s brennt, dann brennt‘s“, antwortet Fe auf die Frage nach der Zeit, die sie für ihre Arbeit in der Wohnraum-Ini benötigt. Sie engagiert sich seit zweieinhalb Jahren in der Initiative. Der Arbeits- und Zeitaufwand schwankt je nach Anliegen. In akuten Fällen finden die Plena auch wöchentlich statt. Ihre eigene Arbeitszeit liege aktuell bei mindestens einem halben Tag wöchentlich, jedoch seien Leute dabei, die sich ‚24/7‘ um nichts Anderes kümmern. „Unsere Personenstunden sind sicherlich höher als die vom Studentenwerk“ ergänzt Fe augenzwinkernd.
In der Praxis heißt das: Plena organisieren, Strukturen für den Austausch schaffen, die Vernetzung gestalten und Aktionen planen, Öffentlichkeitsarbeit betreiben und Pressemitteilungen schreiben, an Mitgliederversammlungen und Notfallplena teilnehmen. Dabei wird häufig spezifisches Know-How benötigt und das ist nicht immer umsonst. Die Initiative lebt von der Mitarbeit freiwillig Helfender, von Werktätigen und Unterstützenden, von der Erfahrung ehemaliger Bewohner*innen und anderen erfolgreichen Hausprojekten.
„Dahinter steckt vor allem ein informeller Aufwand“, sagt uns Robin D. Räume buchen und Telefonate führen, Informationen in den Plena sammeln und sie in die Häuser zurückführen, um jedem die Mitsprache zu ermöglichen. Es herrscht ein basisdemokratisches Prinzip. Erst wenn alle einverstanden sind, können Entscheidungen getroffen werden. „Zeitweise bestimmt es den Alltag, du bist immer mit dem Kopf dabei.“ Robin D. erzählt, wie er sich früh morgens in die Bibliothek setzte, um eine Seminararbeit zu schreiben und dann den ganzen Tag mit dem Verfassen von Presseartikeln beschäftigt war.
Letztendlich gehe es um Solidarität, sagt Fe „Es ist ein cooler Prozess, wenn Leute sich zusammentun, kollektiv organisieren und nicht einfach hinnehmen, was von oben kommt. Es ist ein wichtiger Kampf.“ Keine*r der drei Interviewpartner*innen ist unmittelbar von den Mieterhöhungen betroffen und doch engagieren sie sich für ihre Mitbewohner*innen, ihre Solidargemeinschaft und nicht zuletzt für alle von den Bewegungen des Göttinger Wohnungsmarktes Betroffenen.
Dass nicht nur die kleineren Wohnheime betroffen sind, zeigt die Gründung des „Bündnis Wohnheime gegen Mieterhöhung“, eines Zusammenschlusses von 17 studentischen Wohnheimen zu Beginn dieses Jahres.
In dem Vortrag „Gentrifizierung – sind die Studierenden das Problem?“ des Göttinger Geografen Michael Mießner von Anfang Mai wird deutlich, dass vor allem das untere Preissegment auf dem Wohnungsmarkt von starken Mietpreiserhöhungen in den letzten ein bis zwei Jahren betroffen ist. Sanierungs- und Renovierungsmaßnahmen von ‚eigentlich bewohnbaren‘ Mietobjekten führen zu Mietpreissteigerungen und einem Abdriften des Niedrigpreissegments in das mittlere und höhere Preissegment. Betroffen davon sind Empfänger*innen von Transferleistungen und Familien mit geringem Einkommen. Gleichzeitig verfällt die Mietpreisbindung bei Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus absurderweise nach einer gewissen Zeit, sodass die Mieten wieder an den Markt angepasst‘ werden und Mieterhöhungen von bis zu 50% gefordert werden können.
Mießner spricht sich daher etwa für ein Mietgesetz aus, in dem es der Zustimmung der Mieter*innen bedarf, um Sanierungen und dadurch anfallende Mietsteigerung durchzuführen, sodass keine Verdrängung von Mieter*innen stattfindet. Weiterhin plädiert er dafür, sich in Vereinen zu organisieren und Wohnraum anzueignen, um diesen dauerhaft der Verwertungslogik zu entziehen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Genau das ist das Ziel der um Kollektivmietverträge bemühten Wohnrauminitiative. Der Vortrag fand im Rahmen der von ihnen ausgerichteten Veranstaltungsreihe „Soziale Verdrängung – Widerstand von MieterInnen gestern und heute“ im April und Mai dieses Jahres statt. Weitere Informationen hierzu und zu den aktuellen Waageplatzumgestaltungen im Zeichen unternehmerischer Stadtpolitik finden sich in der Online-Präsenz Mießners (https:// stadtentwicklunggoettingen. wordpress.com) und hinter den Stickern der Wohnrauminitiative (https://www.facebook. com/Wohnrauminitiative/).
Tom Franke