"Frau Müller muss weg" in ThOP
von Carolin Krall
Zweimal schrillt die Schulklingel durch den Saal. In den Bankreihen müssen alle Zuschauer*innen noch etwas näher zusammenrücken, so groß ist der Ansturm auf das neue Stück des Theaters im OP „Frau Müller muss weg“. Die Schlange vor der Tür ist noch lang. Ein drittes Mal durchdringt der grelle Ton die erwartungsvollen Gespräche der Gäste – es geht los.
Wir befinden uns im Klassenzimmer der 4b. In einem halben Jahr stehen die Versetzungszeugnisse an, welche über die Zukunft der jungen Schüler*innen entscheiden werden. Während sie selbst
sich dessen noch nicht wirklich bewusst zu sein scheinen, sind ihre Eltern es umso mehr. Jedes Kind
soll auf das Gymnasium, andere Optionen stehen gar nicht zur Debatte. Sollte die Versetzung in irgendeiner Form gefährdet sein, kann jedenfalls – da sind sich fast alle einig – nur eine Person
schuld sein: die Klassenlehrerin. An diesem Abend treffen sich also, angeführt von der zielstrebigen Frau Höfel (Anika Bittner) und stellvertretend für alle, die Eltern von vier Schüler*innen, um
Frau Müller (Johanna Mohrmann) weg zu komplimentieren. Schnell wird jedoch klar, dass doch nicht alle an einem Strang ziehen; das Wohl des eigenen Kindes steht eben doch höher als das der
anderen. So schaltet sich die zunächst neutrale Katja Grabowski (Jana Cordes) auch erst ein, als ihr Vorzeigesohn Fritz plötzlich als Autist
abgestempelt wird. Wolf Heider (Niels Jensen) will seine Tochter Janine vor ihrer eingebildeten Freundin Laura schützen und es zeigt sich, dass Lukas, mit seinen Eltern (Beatriz Beyer und Thomas
Sicking) gerade erst aus München zugezogen, von seinen pädagogisch doch nicht ganz so wertvollen Vorerfahrungen auf der Montessori-Schule heimgesucht wird.
Obwohl die versammelten Eltern eindeutig Frau Müller als Täterin sehen, ist sie eigentlich genau so Opfer wie die Kinder ihrer Klasse: Opfer des gesellschaftlichen Drucks, der auf den Eltern
lastet und an die erst neunjährigen Kinder weitergegeben wird. Die Angst, nicht gut genug zu sein, ist bereits in der Grundschule taktgebend – wenngleich sie nicht von den Schüler*innen selbst, sondern von deren Eltern ausgeht. Die Komödie von Lutz Hübner lässt die Zuschauer*innen eintauchen in diese Welt, in der ein paar Helikoptereltern mehr Macht zu haben scheinen als
ausgebildete Pädagog*innen oder die Landesschulbehörde. Mit schlichtem Bühnenbild und herausragendem Schauspiel entsteht so eine Satire auf das Bildungssystem, dessen Chancen und Versäumnisse. In
knapp 90 Minuten durchlebt jeder Charakter sein persönliches Wechselbad der Gefühle. Gespickt wird die Darstellung von urkomischen und gleichzeitig authentischen Dialogen, die das Publikum vor
Lachen ordentlich durchschütteln. Ein langer Applaus markiert das Ende dieser etwas anderen Schulstunde.